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Das kuriose Arsenal des Krieges (aus Spiegel Online,
8.10.2003)
Von Bastian
Sick
Womit, glauben Sie, sind die Waffendepots der Terror-Organisationen gefüllt?
Mit Propellergeschossen und Kanonenwatte! US-Soldaten laufen derweil mit Colts
und tragbaren Radios durch die Wüste. Das geht nicht mit rechten Dingen zu?
Stimmt: Durch Übersetzungsfehler verkommt moderne Waffentechnik gelegentlich
zum Scherzartikel.
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Brachten Traktoren Saddams Schätze außer
Landes? |
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Oft war in der letzten Zeit von manipulierten Geheimdienstinformationen die
Rede, aus denen sich die US-Regierung eine Rechtfertigung für ihren Krieg gegen
Saddam Hussein zusammengebogen haben soll. Die amerikanische Öffentlichkeit fühlte
sich getäuscht und desinformiert. Darüber können wir eigentlich nur milde lächeln.
Denn Verwirrung der Öffentlichkeit durch abenteuerliche Informationen gehört
im deutschsprachigen Raum zum täglichen Geschäft.
Im Mai gewährte eine Agenturmeldung Einblick in den bedauerlich rückständigen
Fuhrpark der irakischen Armee. Da war von großen Summen Bargeldes die Rede, die
mit Hilfe von "Traktoren" aus der irakischen Nationalbank
abtransportiert wurden. Man sah es buchstäblich vor sich: Wie Saddams Getreue Säcke
voller Geld auf einen Anhänger werfen und mit mörderischen 25 Kilometern in
der Stunde Richtung Grenze davonpröttern. Eine Recherche ergab dann allerdings,
dass es sich in Wahrheit um "tractor trailers" handelte, also Sattelzüge,
die nicht ganz fachgerecht ins Deutsche übersetzt worden waren.
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"Yps" mit Gimmick: Legendäre
Plastikdreingaben im Kriegseinsatz gegen die Amerikaner? |
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Im August erschien ein Artikel, der den Alltag der Alliierten im Irak beschrieb.
In einer Aufzählung der vielen Gefahren, die im Hinterhalt lauern, hieß es:
"Propellerbetriebene Granaten werden auf Konvois abgeschossen." Das
klingt etwas rätselhaft. Was hat man sich unter einer "propellerbetriebenen
Granate" vorzustellen? Eine fliegende Bombe, die sich knatternd durch die
Luft schraubt? Kein Wunder, dass die Iraker gegen die Amerikaner keine Chance
hatten, wenn sie derart anachronistische Geschosse verwenden. Das Ganze klingt
eher nach einem "Yps"-Gimmick als nach einem gefährlichen Projektil.
So als würde sich Reinhard Haas, einst Beschaffer der legendären
Plastikdreingaben, jetzt als Waffenlieferant im Orient betätigen. Es wäre
immerhin nicht das erste Mal, dass Deutschland bedenkliche Produkte in den Irak
exportiert. Oder hat womöglich nur jemand den Begriff "Rocket Propelled
Grenade", kurz RPG, falsch übersetzt? Dann hätten wir es nämlich mit
einer Panzerfaust zu tun, und schon sähe die Sache anders aus.
Die viel beschworene technische Überlegenheit der Amerikaner will allerdings
auch nicht so recht einleuchten, wenn man lesen muss, dass die Soldaten über
"tragbare Radios" miteinander in Verbindung stehen. Diese Radios hätten
auf dem Weg von Kuweit quer durch die Wüste den Dienst versagt, da sich die
Batterien auf Grund der Hitze zu schnell erschöpften. Wieso gibt man den
Soldaten auch tragbare Radios mit, wundert sich der Leser. Mit herkömmlichen
Autoradios wäre das nicht passiert. Erst später dämmert ihm, dass da im
Originaltext wohl "mobile radios" gestanden hatte und jemand nicht
darauf gekommen war, dies mit "Funkgeräten" zu übersetzen.
Auch die gern zitierten "smoking guns" sind nur unzureichend mit
"rauchenden Colts" wiedergegeben; das englische "gun"
bedeutet nämlich sehr viel mehr als nur Pistole oder Gewehr, es heißt genauso
Kanone, Geschütz. In Anlehnung an die Western-Serie mit dem deutschen Titel
"Rauchende Colts" lassen deutschsprachige Medien die US-Amerikaner
auch heute noch mit Revolvern herumballern; das Mündungsfeuer der modernen
Artillerie wird zur Wildwest-Schießerei verniedlicht. Ganz abgesehen davon,
dass der Ausdruck "smoking gun" im Englischen als Metapher für einen
"unumstößlichen Beweis" verwendet wird.
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Dernier cri im Terrorgeschäft: Kanonenwatte
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Anfang Oktober gab die Nachrichtenagentur dpa dann eine Meldung heraus, in der
von "Kanonenwatte" die Rede war. Das Terrornetz al-Qaida arbeite an
der Herstellung von Sprengsätzen auf Zellulose-Basis, hieß es da. Die Sprengsätze
sollten mit einer Substanz namens Nitrozellulose hergestellt werden, die sehr
leicht entflammbar sei und in geschlossenen Behältern eine explosive Wirkung
habe. Diese Substanz werde auch "Kanonenwatte" genannt. Donnerwetter!
Es dauerte nicht lange, da erhob sich ein Proteststurm von chemiekundigen
Lesern, die darüber aufklärten, dass die angebliche "Kanonenwatte"
auf Deutsch "Schießbaumwolle" genannt werde. Ein Blick ins Lexikon
verschaffte Klarheit: "Schießbaumwolle", auch "Schießwolle"
oder Nitrozellulose genannt, ist ein altbekanntes chemisches Gemisch aus
Salpetersäure und Baumwolle. Also nichts mit Kanonen und Watte. Da wurde der
englische Ausdruck "gun cotton" zu flauschig übersetzt. Schießbaumwolle
wäre die korrekte deutsche Entsprechung gewesen.
Traktoren, Propellergeschosse und Kanonenwatte - man kann nur hoffen, dass
die Regierenden in Berlin ihre Entscheidungen über Kriegs- und Friedenseinsätze
nicht auf Grundlage von übersetzten Agenturmeldungen fällen. Sollten Sie sich
mit dem Gedanken tragen, demnächst in eine Krisenregion zu reisen, dann rüsten
Sie sich gut! Nehmen Sie ein Englisch-Wörterbuch mit!
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